Die Ayisekho – Von den Losgesagten
Nicolas von Arnstein
Als ich vor langer Zeit Unterschlupf in einem alten Kloster suchte, entdeckte ich in deren Bibliothek die Aufzeichnungen von Francisco Hernandez und Enrico Guevara, Missionare aus der Zeit der spanischen Eroberung Mittel- und Südamerikas.
Hernandez und Guevara schilderten dabei den Kontakt mit einem indigenen Waldelfenvolk im Dschungel Mexikos und in weiterer Folge deren Auseinandersetzungen mit den spanischen Eroberern, die schlussendlich zu einer weitreichenden Umgestaltung der Kultur dieses Waldelfenstammes führen sollte.
Während die Reiche der Mayas, Azteken und Inkas schlussendlich den europäischen Invasoren unterlagen, gelang es diesem Elfenstamm, durch das Ablegen seiner alten Kultur sein Überleben zu sichern. Und eine Lebensweise zu entwickeln, welche auch anderen Elfen und sogar Menschen offen steht.
Hernandez’ und Guevaras hinterlassene Unterlagen zeugen davon, dass beide ihr ganzes Leben dem Studium dieses Elfenstammes, welcher sich zuletzt Ayisekho, die Losgesagten, nannte, gewidmet hatten. Während meiner Unterbringung im Kloster hatte ich Zeit, ihre Schriften zu studieren und in eine kritische Betrachtung zu überführen, auf dass ihr hervorgebrachtes Wissen breiteren Schichten zur Verfügung stehen möge.
1.Die Ursprünge der Ayisekho
Es ist hinreichend bekannt, dass neben den indigenen menschlichen Kulturen auch unterschiedliche Stämme der Elfen, vorwiegend naturverbundenes Volk, die Dschungelgebiete Mittel- und Südamerikas ihre Heimat nannten. Kaum etwas ist uns über Kontakte zwischen den menschlichen und elfischen Kulturen bekannt. Daher ist anzunehmen, dass die elfischen Stämme bewusst die Isolation wählten.
Auch über das Weltbild der hiesigen Elfen, insbesondere ihrer religiösen Ansichten, ist uns wenig überliefert. Dank Hernandez und Guevara wissen wir zumindest, dass jener Stamm, der sich später die Ayisekho nannte, eine zentrale Gottheit der indigenen menschlichen Bevölkerung als ihre oberste Gottheit verehrten. Die Rede ist hierbei von Quetzalcoatl, der gefiederten Schlange.
Eine aztekische Überlieferung weiß zu berichten, dass Quetzalcoatl über den Atlantischen Ozean heimkehren würde in sein Reich, gemeinsam mit seinem Gefolge. Hernandez und Guevara sprechen davon, dass es eine Prophezeiung ähnlichen Inhaltes bei den späteren Ayisekho gab und diese in den spanischen Truppen die vorhergesagte Wiederkehr ihres Schöpfers sahen. Ihr Glauben wurde in ihren Grundfesten erschüttert, als die Spanier die ihnen angediehene Verehrung mit Verrat und Gewalt vergalten. Quetzalcoatl offenbarte sich in den Augen der führenden Autoritäten des Stammes als Verräter an seinen Kindern.
Der Elfenstamm entging Sklaverei und Ausrottung durch gewählte Isolation einerseits, andererseits durch vergeltende Anschläge auf die spanischen Truppen. Manchmal nahmen sie Gefangene und hielten diese als Geiseln, darunter auch Francisco Hernandez. Er war daher in der Lage, die Transformation der elfischen Kultur aus erster Nähe betrachten zu können. Der jüngere Guevara trat hundert Jahre nach Hernandez Tod dessen Nachfolge an und studierte die neu entstandene Kultur.
2.Transformation der Kultur
Einstmals ein Waldelfenstamm, der in symbiotischer Beziehung mit seiner Umgebung lebte und die elfische Variante des Quetzalcoatl verehrte, wurden die späteren Ayisekho brutal aus ihrer Umgebung gerissen. Bedrängt von den Spaniern und verraten geglaubt von ihrem Schöpfergott, fanden sich die Aysekho in einer ihnen in allen Belangen feindseligen Welt wieder.
Ständig ums Überleben kämpfend, sowohl gegen die Spanier als auch ihre neue, ihnen fremde, Umwelt selbst, entwickelte sich im Laufe der Zeit aus einer friedfertigen, naturverbundenen Kultur ein Weltverständnis, wie es wohl einmalig auf der Welt ist. Geboren aus schierem Überlebenskampf entstand eine Ideologie, die seinesgleichen, vor allem unter den Elfen sucht.
3.Die Religion der Ayisekho
Die Ayisekho haben sich von ihren Göttern, vor allem ihrem Schöpfergott Quetzalcoatl, vollständig abgewandt. Es ist jedoch nicht der Fall, dass sie deren Existenz negieren würden. Vielmehr betrachten sie nunmehr ihre alten Götter als Feinde, die in Wirklichkeit den Elfen nur Böses wollen. Dies projizieren sie auch auf jedwede andere, auch ihnen fremde Gottheit, in der sie bloß eine Maskerade Quetzalcoatls sehen. Durch den Zulauf aus Vertretern anderer Kulturen wird oft auch nur vom Schöpfer oder Großen Verräter gesprochen.
Die Ayisekho sehen sich selbst in der Grünen Hölle lebend, in welche sie Quetzalcoatl gebracht habe. Sie glauben daran, dass sie auf ewig dazu verdammt wären, in der Grünen Hölle ihr Dasein zu fristen. Daher betrachten sie ihre Unsterblichkeit als Fluch ihres Schöpfergottes. Weiter hängen sie der Vorstellung an, dass sie im Tode in die Grüne Hölle wiedergeboren würden.
Aber es gibt in ihrem Glaubenssystem einen Ausweg: Nach dem Tod erhält jeder Ayisekho die Möglichkeit, den Großen Verräter im Zweikampf zu besiegen, ihn womöglich sogar zu erschlagen. Dadurch werde der Kreislauf der wiederkehrenden Geburt durchbrochen und die Ayisekho schlussendlich von der Tyrannei der Götter befreit.
4.Die Lebensweise der Ayisekho
Ein Ayisekho-Clan unterteilt sich grundsätzlich in zwei Gruppen, wobei diese Unterteilung bereits in der Kindheit vollzogen wird: Neben dem Clan, der Familie an sich, existiert eine Gruppe ausgewählter Individuen, die dazu ausersehen sind, nach einem Leben voller Prüfungen in ihrem Tode Quetzalcoatl herausfordern zu dürfen. Man nennt sie daher Erwählte oder auch Geprüfte.
Im Alter von etwa sechs Jahren beginnt bereits bei den Ayisekho die Trennung. Knaben und Mädchen werden, zusammen mit einer Schlange, in eine Grube geworfen. Erschlägt der Elf die Schlange, ohne gebissen zu werden, darf er den Weg eines Erwählten beschreiten. Unterliegt er, verbleibt er im Clan und muss darauf hoffen, in seinem nächsten Leben die Herausforderung der Schlangengrube zu bestehen.
Für den Erwählten beginnt infolge ein Leben stätiger Herausforderungen, die er sich selbst zu erwählen hat und denen er bestehen muss.
Die Ayisekho kennen keinen Luxus und akzeptieren höchstens einfachste Hilfsmittel. Männer und Frauen sind ihnen gleichgestellt und ihre Kultur ist offen für Außenstehende. Jeder, der sich der Lebensweise der Ayisekho unterwerfen will, wird ebenfalls geprüft werden. Die Art der Prüfung wird individuell festgelegt.
Ayisekho akzeptieren nicht nur Menschen unter sich, sie bewundern sie sogar. Menschen sehen sich von Natur aus größeren Entbehrungen ausgesetzt und müssen daher noch mehr um das Überleben kämpfen. Ein jeder Ayisekho sollte daher seinen menschlichen Brüdern und Schwestern noch mehr Respekt zollen, als ihm oder ihr bereits gebührt.
Ayisekho verachten Technologie und Magie. Beides sind in ihren Augen Hilfsmittel, welche das Leben zu sehr erleichtern. Fallen, von Quetzacoaltl ersonnen, um die Völker fett und träge zu machen, auf das sie ihn nicht mehr herausfordern zu vermögen. Daher bezeichnen die Ayisekho Städte etwa als Graue Höllen.
Sie verachten daher auch jedwede andere Zivilisation, sind ihnen jedoch nicht feindlich gesonnen. Denn Ayisekho missionieren nicht. Jene, welche den Verrat Quetzalcoaltls nicht erkannt haben, vermögen in ihrem nächsten Leben möglicherweise ihren Fehler zu erkennen.
5.Die Erwählten der Ayisekho
Die Erwählten führen ein selbst gewähltes Leben voller Strapazen und stetiger Herausforderungen. Meist beinhalten diese, sich einem mindestens ebenbürtigen Gegner zu stellen, etwa wilden Bestien oder aber auch Kriegern anderer Kulturen. Wobei sie Letztere nie zum Kampfe provozieren würden. Ein Erwählter sucht von sich aus bewusst keinen Streit mit anderen. Denn Streit schürt Zwietracht und führt nur zur Schwächung.
Es können aber auch andere Handlungen als Herausforderungen gelten, sofern diese eine angemessene Bedrohung für das eigene Leben beinhalten.
Für den Erwählten ist es wichtig, eine Herausforderung richtig einschätzen zu können. Hier zeigt sich eine der Widersprüchlichkeiten dieser Kultur. Denn einerseits soll die Herausforderung dazu dienen, denn eigenen Körper und Geist für den Endkampf gegen den Schöpfer zu stärken. Andererseits ist der Außerwählte dazu angehalten, sein Leben nicht sinnlos wegzuwerfen. Er kann sich doch vor seinem Ableben nicht sicher sein, ob der Quetzalcoaltl auch wirklich gewachsen ist.
Bedeutend ist der Umstand, dass ein Erwählter vor dem Kampfe nie den Vorteil sucht. Er wird nicht mit Gift arbeiten und sich auch keinen Panzer anlegen, wenn der Feind ungepanzert ist. Pfeil und Bogen sind ihm fremd, außer bei der Jagd. Setzt ihm der Feind aus der Ferne zu, dann darf auch der Erwählte auf diese Vorgehensweise zurückgreifen. Metallische Waffen sind unehrenhaft, außer man wird mit solchen angegriffen. List und Täuschung sind die Waffen des Großen Verräters. Der Erwählte soll daher stets achtsam sein, aber nicht selbst so handeln.
Ein Erwählter wird keine Magie einsetzen, denn dies ist ein Fluch Quetzalcoaltls und würde ihm in Herausforderungen Vorteile verschaffen. Ein Erwählter tut gut daran, keinen Alkohol oder sonstige Rauschmittel zu sich zu nehmen, denn sie schwächen Körper und Geist. Er soll seinen Geist wie seinen Körper stählen, doch auch hier Vorsicht walten lassen. Philosophie ist eine Falle des verräterischen Schöpfers. Sie verwirrt den Verstand und lenkt ihn von der Wirklichkeit ab.
6.Fazit
Zusammenfassend drängt sich mir der Eindruck auf, dass gerade das Leben eines Erwählten in groben Zügen dem menschlichen Bild des Edlen Barbaren entspricht, wie er etwa von der bekannten, populär-literarische Figur Conan dargestellt wird.
Von einem Erwählten der Ayisekho ist kein Verrat zu erwarten und er wird niemals zu seinem eigenen Vorteil handeln. Er trägt sein Herz auf der Zunge und ist stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen, seien es Kämpfe oder Abenteuer. Niemals würde er andere Personen angreifen, wenn sie ihn nicht selbst herausfordern.
Er lebt für den Kampf und die Gefahr, beides Flammen, in denen er seinen Körper für den Endkampf gegen Quetzalcoatl beständig schmieden wird.
Zivilisation und Religion lehnt der Erwählte ab. In Städten und unter anderen Kulturen wird er unruhig werden und misstrauisch. Immer darauf bedacht, den Verlockungen des Großen Verräters nicht zu erliegen und seinen Körper nicht zu schwächen.
- Nicolas von Arnstein